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Nervengift als Therapie

Überaktive Blase behandeln: Botox gegen Reizblase

Das Nervengift Botulinumtoxin Typ A ist vielen als Mittel zur Glättung von Falten bekannt. Es wird aber auch seit Jahren erfolgreich therapeutisch eingesetzt, unter anderem zur Therapie einer überaktiven Blase.

Botox für die Blase: Nervengift als Therapie bei Reizblase
© Getty Images/Doucefleur

Botulinumtoxin A (BTX-A) ist ein Nervengift, das von dem Bakterium Clostridium botulinum gebildet wird. BTX-A verhindert, dass Signale von Nervenfasern auf Muskeln oder Drüsengewebe weitergeleitet werden können. Diese Wirkung des Giftstoffs macht sich die Medizin für verschiedene Anwendungen zu Nutzen. Am bekanntesten dürfte dabei der Einsatz von BTX-A gegen Falten sein. Der stark verdünnte Wirkstoff, der im Faltenbereich in die Haut gespritzt wird, lähmt die dort vorhandenen Muskeln. Dadurch erschlafft die Haut und glättet sich. Auch in der Migränetherapie findet Botox Anwendung.

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BTX-A verringert die Aktivität des Blasenmuskels

Seit einigen Jahren wird Botulinumtoxin A auch zur Behandlung der überaktiven Blase eingesetzt, wenn andere Behandlungsverfahren trotz wiederholter Anwendung keinen befriedigenden Erfolg gebracht haben. Ziel der Therapie mit BTX-A ist es, die Aktivität des Blasenmuskels zu verringern und so den ständigen Harndrang, die Dranginkontinenz und das nächtliche Wasserlassen (Nykturie) zu bessern.

Seit einigen Jahren hat ein Botulinumtoxin Typ A-Präparat die Zulassung zur Therapie der Reizblase. Zuvor konnte es nur im Rahmen des sogenannten Off-Label-Use in Deutschland angewandt werden. Das bedeutet, das Medikament wird für ein anderes Anwendungsgebiet eingesetzt als das, für das es zugelassen und seine Wirkung erwiesen ist. Die gesetzliche Krankenversicherung muss in solchen Fällen nur dann für die Kosten aufkommen, wenn es um die die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht, für die es keine andere Therapie gibt und eine begründete Aussicht auf Erfolg besteht.

Botox, wenn Anticholinergika versagen

Mittlerweile aber darf Botox laut Herstellerangaben Erwachsenen verordnet werden, die unter einer "idiopathisch überaktiven Blase mit den Symptomen Harninkontinenz, imperativer Harndrang und häufiges Wasserlassen" leiden und die "auf Anticholinergika nur unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben."

Unter dem Begriff Anticholinergika wird eine Gruppe von Medikamenten zusammengefasst, die traditionell zur Behandlung der Reizblase eingesetzt werden und die Aktivität des Blasenmuskels herabsetzen. Sie wirken allerdings nicht bei allen Patient*innen ausreichend und rufen oft Nebenwirkungen hervor wie Verstopfung, Mundtrockenheit oder trockene Augen.

Gute Wirksamkeit: Mit Botox häufiger beschwerdefrei

In mehreren Studien konnte bereits nachgewiesen werden, dass Botox-Injektionen in den Blasenmuskel hier eine vielversprechende Behandlungsalternative darstellen. So hatten Forscher*innen der Loyola Universität Chicago in einer im Herbst 2012 veröffentlichten Studie 241 Patientinnen mit Reizblase in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe wurde täglich mit Anticholinergika therapiert und erhielt zusätzlich Placebo-Injektionen, der anderen Gruppe wurden Placebos statt Anticholinergika verabreicht und in regelmäßigen Abständen Botox injiziert. Die Patientinnen wussten selbst nicht, welcher der beiden Gruppen sie angehörten.

Nach sechs Monaten Therapie waren 13 Prozent der Patientinnen aus der Anticholinergika-Gruppe beschwerdefrei, in der Botox-Gruppe waren es mit 27 Prozent gut doppelt so viele. Allerdings erkrankten unter der Botox-Therapie 28 Prozent der Teilnehmenden an einer Harnwegsinfektion gegenüber 15 Prozent in der Anticholinergika-Gruppe. Zudem konnten fünf Prozent der mit Botox Therapierten ihre Blase nicht vollständig entleeren – ein Problem, das in der Anticholinergika-Gruppe nicht auftrat, in der jedoch häufiger über Mundtrockenheit geklagt wurde (46 Prozent gegenüber 31 Prozent).

Ein halbes Jahr zuvor war ein Wissenschaftsteam der Universität Leicester in Großbritannien in einer Untersuchung mit 240 Patientinnen zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen. Dabei waren gut ein Drittel der mit Botox behandelten Frauen sechs Monate nach der Behandlung noch kontinent, verglichen mit zwölf Prozent aus der Placebogruppe, hatten aber auch dreimal so häufig eine Harnwegsinfektion.

In die Studie, auf der die deutsche Zulassung von Botox zur Reizblasen-Behandlung beruht, waren über 1.100 Patient*innen einbezogen worden, die aufgrund von Nebenwirkungen oder fehlendem Behandlungserfolg nur unzureichend auf eine Therapie mit Anticholinergika reagiert hatten. Bei ihnen kam es vor Studienbeginn zu durchschnittlich mehr als fünf Harninkontinenz-Vorfällen am Tag. Bereits nach der ersten Botox-Injektion seien 27,1 Prozent der so behandelten Patient*innen vollständig kontinent gewesen gegenüber 8,4 Prozent in der Placebo-Gruppe, schreibt die Ärztezeitung und beruft sich auf Angaben der Firma Allergan.

Die Verbesserung der Symptome sei in den Studien bereits zwei Wochen nach Behandlungsbeginn eingetreten und habe durchschnittlich etwa 24 Wochen angehalten. Was die Nebenwirkungen anbelangt, traten auch in der Zulassungsstudie hauptsächlich Harnwegsinfektionen und Probleme bei der Entleerung der Blase auf (Dysurie). Allerdings hätten nur 1,8 Prozent der mit Botox Behandelten die Therapie aufgrund "unerwünschter Ereignisse" abgebrochen.

Keine Generalempfehlung für Botox

Wie Linda Brubaker, Leiterin der Botox-Studie der Loyola Universität Chicago, bereits als Fazit ihrer Untersuchung feststellte, gibt es keine Generalempfehlung für eine Therapie, die allen gleich gut hilft. Betroffene müssten vielmehr selbst testen, welche Therapie bei ihnen am besten anschlägt und vertragen wird. Mit der Zulassung von Botox in Deutschland zur Behandlung der Reizblase steht die Möglichkeit dazu mehr Menschen offen.

Bevor BTX-A bei einer überaktiven Blase zum Einsatz kommen kann, muss eine gründliche Untersuchung der Beschwerden und der Blasen- und Ausscheidungsfunktion erfolgt sein, wie sie auch vor der Anwendung herkömmlicher Behandlungsverfahren erfolgt.

BTX-A wird unter Narkose in zahlreichen kleinen Dosen vom Harnblaseninnenraum aus in den Blasenmuskel oder unter die Blaseninnenhaut gespritzt. Die Behandlung wird im Rahmen einer Blasenspiegelung durchgeführt, sodass die Injektionen des Medikaments unter Sichtkontrolle über die gesamte Blase verteilt werden können und die Aktivität des Blasenmuskels gleichmäßig vermindert wird. Schmerzen oder Komplikationen infolge des kleinen Eingriffs kommen praktisch nicht vor.

Botox bessert Reizblase durchschnittlich ein halbes Jahr lang

Die Wirkung der BTX-A-Behandlung tritt nicht immer sofort ein. Sprechen Patient*innen gar nicht auf den Wirkstoff an, kann nach vier Wochen ein erneuter Therapieversuch unternommen werden.

Ziel der Behandlung ist es, den Blasenmuskel so sehr zu schwächen, dass die Beschwerden möglichst verschwinden, aber eine normale Blasenentleerung weiterhin möglich ist. In einzelnen Fällen kann es dabei zu einer Unter- oder Überdosierung kommen. Eine zu geringe Wirkung kann durch eine erneute Behandlung im Abstand von einigen Wochen ausgeglichen werden. Eine Überdosierung bewirkt unter Umständen jedoch, dass eine vollständige Blasenentleerung unter Umständen für einige Wochen nur mithilfe von Einmalkathetern möglich ist, bis die Kraft des Blasenmuskels wieder zugenommen hat.

Nach etwa einem halben Jahr lässt die Wirkung von BTX-A nach. Die Behandlung kann aber in der Regel wiederholt werden. Eine Resistenz gegen den Wirkstoff scheint sich, wenn überhaupt, nur in sehr seltenen Fällen herauszubilden.

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